"Mensch, Kurt!" Die Tucholsky Revue
"Mensch, Kurt!" Die Tucholsky Revue

von Marijke Jährling
eine Produktion der compagnie schattenvögel | Regie: Peter H. Jährling
Premiere: 30. März 2016 | 19:30 Uhr
Er hatte fünf Finger an einer Hand, war Panther, Tiger und Co, Weltbühnenautor, Jude, Pazifist, ein Womanizer, Patriot,Europäer, Erfinder der Ironie, er hasste die Deutschen , er liebte Deutschland, und nahm sich das Leben im Exil.
Kurt Tucholsky (1890-1935) spiegelt in seinen Liedern, Glossen, Geschichten und Gedichten wie kein anderer deutsche Befindlichkeiten, er seziert förmlich die gesellschaftliche Situation zwischen den Weltkriegen und begründet – zersplittert in seinen Pseudonymen – das literarische Bild der modernen, zerrissenen Identität. Statt Erlösung zu suchen in einfachen Antworten – wie die Mehrheit der deutschen in den 1930er Jahren – ging Tucholsky der Vieldeutigkeit der aufbrechenden Moderne mit spitzer Feder auf den Grund.
„Mensch, Kurt!“ ist eine Revue, die musikalisch, schauspielerisch, parodistisch und kabarettistisch hinter die Kulissen der heute gerne beschworenen Goldenen Zwanziger Jahre schaut, bis in die Dreißiger hinein, um dabei Kontinuitäten und Parallelen aufzudecken, etwa wenn Heute im vereinten Europa wieder der Ruf nach nationaler Identität laut wird, mit einem wiedererstarkenden Rechtspopulismus. „Mensch, Kurt!“ fängt auch die Stimmen von Zeitgenossen ein, und bringt uns auch den Menschen „Tucho“ nahe, und damit den Blick eines sensiblen Wesens auf sich selbst, auf die Menschen, denen er misstraute, die er liebte, an denen er scheiterte.
Schock!!! Die Wahrheit! Was die Lügenpresse verschwieg!
Warum Deutschland AfD wählt
In einem Mannheimer Arbeiterviertel kommt die AfD auf 30% Wählerstimmen. Ein "Autor" der "Jouwatch" weiß es besser als die FAZ: es ist das Versagen der SPD, der "Scharia Pertei Deutschlands" (O-Ton Autor) Die hat den Stadtteil von lebensfrohen Arbeitern, deren minderjährige Kinder auf Klassenfahrten nach Lust und Laune ficken dürfen, der verkniffenen Moral von kopftuchtragenden Muslimen untergejocht. Die Muslime sind also schuld daran dass sich die Lebenswelt der Menschen derart verändert hat und der lustige Mannemer seines Lebens nicht mehr froh wird.
Die Juden sind schuld
So hieß es in Nazideutschland. Und alle haben es geglaubt. Aber was war passiert?
Unter dem Mäntelchen des Kaiserreiches hatte sich Deutschland als Industrienation entwickelt. Die Arbeiterklasse wurde geboren. Das Kleid des Kaisserreiches wurde zu eng für diese Entwicklung Die Sozialistengesetze hielten die SPD gedeckelt, es überwog alltagsfreundliche Vereinsmeierei.. Bismarcks soziale Wohltaten hielten das Ganze aber einigermaßen zusammen. Und: Im Militär hatte jeder männliche Bürger einen kleinen oder größeren Status, auf den er Stolz sein konnte. Arbeiter konnten Unteroffizier sein, das Bürgertum bekleidete sich mit höheren Posten und lief speichelleckend dem Adel hinterher, um sich in dessen Glanz zu sonnen.
Der erste Weltkrieg und die Novemberrevolution hatten dieses Gebilde durcheinandergewürfelt. Das Militär wurde massiv verkleinert. Viele verloren ihren Status, durch den sie sich aufgewertet fühlten. Privilegien gingen verloren, ehemalige Bürgersfrauen mussten sich prostituieren. Andere strebten auf und machten eifrig Geschäfte. Die Gesellschaft wurde unübersichtlicher, Neid durchsetzte sie.
Die Flüchtlinge sind schuld
Deutschland klettert in der Lebenszufriedenheit von Platz 15 auf Platz 9 im europaweiten Vergleich. Aber: Was man hat, kann man ja auch verlieren.
Die "Verlierer" klingeln ja fast täglich an der Tür: Die Paketboten, Prototypen der Dienstleister.
Denn Deutschland hat in den letzten zwanzig Jahren einen Umbauprozess vollzogen: Von der Industrienation zur Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft. Was heißt das? Das heißt, wir haben reguläre Beschäftigung ab- und einen irregulären Dientsleistungs- und Niedriglohnsektor aufgebaut.
Zugehörigkeiten, die in der Arbeiterschaft slbstverständlich waren, sind verloren gegangen. Gab es früher für jede Berufsgruppe eigene Gewerkschaften - wie etwa IG Druck und Papier etwa - so sind jetzt die meisten in einer großen Dienstleistungsgewerkschaft zusammengefasst. Aber: Was bin ich als Dienstleister? Womit kann ich mich identifizieren? Kann sich der Angestellte im öffentlichen Dienst mit dem Paketboten identifizieren? Wohl kaum.
Diesem Verlust von Identität und Zugehörigkeit folgt - ähnlich wie nach dem ersten Weltkrieg - die Erfahrung von Unsicherheit und Unübersichtlichkeit.. War es in den zwanziger-dreißiger Jahren die Massengesellschaft der Städte, die die Leute ängstigte, so ist es nun die Unübersichtlichkeit der Globalisierung und die Erfahrung, jederzeit mit einem Arbeitnehmer in China in Konkurrenz zu stehen - ohne sich direkt messen zu können.
Das ist gerade für Männer eine belastende Erfahrung, denn sie können den "Feind" nicht direkt angehen.
Also muss jemand schuld sein. Na klar: Die Flüchtlinge sind schuld!
[Marijke Jährling]